Räume der Kunstvermittlung werden seit ca. 15 Jahren in Deutschland vermehrt im sichtbaren und frei zugänglichen Bereich der Kunstmuseen eingerichtet. Dazu räumen Museen ihre Ausstellungsflächen frei und schaffen Platz für die pädagogische Arbeit. Hinter dieser sich ändernden Raumpraxis steht das Anliegen, die pädagogische Arbeit im Museum sichtbarer zu machen und sie räumlich als integralen Bestandteil der Ausstellungen in Erscheinung treten zu lassen.
Die Verräumlichung in eigenen Räumen erzeugt dabei Evidenz über die Existenz der pädagogischen Arbeit im Museum, denn mit den sichtbaren Vermittlungsräumen wird offenkundig an alle Museumsbesucher*innen kommuniziert: „Hier findet Kunstvermittlung statt!“. Gleichzeitig ist eine Erkennbarkeit und Unterscheidung der pädagogischen Arbeit zu den anderen Tätigkeitsfeldern, die die Ausstellung betreffen, gegeben.1
Die Platzierung im frei zugänglichen Bereich der Institution bedeutet nicht, dass einfach etwas sichtbar gemacht2 wird, was es vorher an einem für das Museumspublikm lediglich nicht sichtbaren und zugänglichen Ort gab. Mit der Einrichtung von Vermittlungsräumen im frei zugänglichen Bereich werden neue Vermittlungsprogramme entwickelt und Vermittlungsräume werden auf eine Art gestaltet, die sich an die ästhetischen Anforderungen der Kunstausstellungen anlehnen – Kunstvermittlung und die Wahrnehmung über das Feld verändern sich.
Diese Veränderungen, die mit der Einrichtung sichtbarer Vermittlungsräume einher gehen, können in ambivalenten Effekten beschrieben werden, die sich sowohl in konkreten pädagogischen Handlungen als auch auf symbolischer und struktureller Ebene der Institution Museum zeigen.
Mit dem vorliegenden Beitrag möchte ich drei ambivalente Effekte3 darstellen, die durch die veränderte Raumpraxis hervorgerufen werden. Sie veranschaulichen die Auswirkungen sichtbarer Vermittlungsräume für das Feld der Kunstvermittlung und die pädagogische Arbeit der Kunstvermittler*innen. Schließen möchte ich den Text mit der Frage, inwieweit es sich bei der Einrichtung sichtbarer Vermittlungsräume um eine widerständige Praxis im Sinne kritischer Kunstvermittlung handelt und Vorschläge machen für eine abweichende Raumpraxis.
Interagieren mit der Kunst und die Vermittlung von Kunstvermittlung
Aufgrund der zentralen Verortung des sichtbaren Vermittlungsraumes innerhalb der Institution Museum besteht eine örtliche Nähe zu den Ausstellungen und der dort gezeigten Kunst. Zur Folge hat dies, dass innerhalb der Vermittlungssituation spontan Kunst, sowohl mit der gesamten Gruppe als auch von den Teilnehmenden individuell, angeschaut werden kann. Die Auseinandersetzung mit Kunst ist dadurch zeitlich nicht mehr nur auf einen definierten Teil des Vermittlungsangebotes – wie beispielsweise zu Beginn eines Workshopangebotes – beschränkt, sondern kann nach Bedarf flexibel in die pädagogische Arbeit integriert werden. Kunst spontan und nach Bedarf anzuschauen wird durch den sichtbaren Vermittlungsraum erleichtert und nimmt einen erhöhten quantitativen Anteil in der Kunstvermittlungspraxis ein.
„Das finde ich echt eine Stärke der Räume, die Nähe zu den Objekten, mit denen wir uns in den Projekten beschäftigt haben. […] Das ist halt next door. Man kann rausgehen und sich nochmal ein Detail anschauen, zurück in den Workshopraum gehen und das Gesehene sofort hier in eigene Choreografien, in Skulpturen verwerten.“ (Bahar Meric, Choreografin und freie Mitarbeiterin lab.Bode)
Auch besteht im sichtbaren Vermittlungsraum eine Nähe zum Ausstellungspublikum. Die Platzierung des sichtbaren Vermittlungsraumes bedingt, dass das Ausstellungspublikum den Vermittlungsraum und die von ihm gerahmte pädagogische Arbeit explizit betrachten kann. Das Publikum geht an dem Raum vorbei, verweilt davor und schaut in den Raum hinein. Kunstvermittlung wird dem Ausstellungspublikum dabei über die Architektur des Raumes, die Art und Weise der Raumgestaltung – wie Mobiliar, Zeigemedien, Wandgestaltung und Beschriftungen – sowie die Formen der Vermittlungspraxis, die im Raum vollzogen werden, gezeigt. Neben den bereits existierenden Formen der Repräsentation pädagogischer Arbeit im Museum wie Broschüren, Publikationen, Social Media-Auftritten und Webseiten4, entsteht dabei eine weitere Form des öffentlichen Zeigens der Kunstvermittlung: ihre räumliche Repräsentation5. Die Einrichtung der Vermittlungsräume im sichtbaren Bereich des Museums kann als absichtsvolle Geste des Zeigens der pädagogischen Arbeit beschrieben werden, mit der Kunstvermittlung zum Teil des Repräsentationssystems Ausstellung wird.
Zusätzlich zu der Betrachtung des Vermittlungsraumes treten einige Besucher*innen auch in den direkten Kontakt mit den Kunstvermittler*innen. Diese gehen auf die Fragen der Besucher*innen ein und übernehmen dabei die Aufgabe, zu einem besseren Verständnis der pädagogischen Arbeit bei den Ausstellungsbesucher*innen beizutragen und auf zukünftige Programme aufmerksam zu machen. Die überwiegend freischaffenden Kunstvermittler*innen übernehmen so Tätigkeiten aus dem Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, indem sie Programme erläutern und neue Teilnehmer*innen für die pädagogischen Angebote generieren: Kunstvermittler*innen vermitteln Kunstvermittlung. Für die kunstvermittlerische Praxis hat es zur Folge, dass die Kunstvermittler*innen ihre pädagogischen Aufgaben zwischenzeitlich unterbrechen, um sich den Fragen und Anliegen der Besucher*innen zu widmen.
Selbstbestimmtes Zeigen und ausgestelltes Objekt
Mit der Einrichtung sichtbarer Vermittlungsräume wird die Tätigkeit des Ausstellungmachens zum Teil kunstvermittlerischer Praxis. Über einen Raum im sichtbaren und öffentlichen Bereich des Museums verfügen zu können führt dazu, dass die Kunstvermittler*innen das Ausstellungmachen zunehmend in ihren Tätigkeitsbereich aufnehmen. Gemeinsam mit den Teilnehmer*innen der Vermittlungsangebote realisieren sie Ausstellungen, die künstlerisch-ästhetische Produkte sowie Dokumentationen der Vermittlungsaktivitäten präsentieren. Der Inhalt dieser Ausstellungen auf der Ausstellungsfläche des Museums ist die pädagogische Arbeit im Museum selbst. Die Wandflächen, die durch den architektonischen Vermittlungsraum zur Verfügung gestellt werden, genauso wie extra angefertigte mobile Wände zum temporären Zeigen, werden dabei zum pädagogischen Medium, das die Produktion von Ausstellungen begünstigt.
Die Akteur*innen der Kunstvermittlung können im Ausstellungmachen weitestgehend selbst darüber entscheiden, auf welche Weise sie die Kunstvermittlung in Form von Ausstellungen zeigen möchten und was über die pädagogische Arbeit zu sehen gegeben wird. Sie bekommen die Möglichkeit, sich in die Darstellungshoheit des Ausstellungmachens auf der Ausstellungsfläche einzumischen und das Feld ihrer regulären Protagonist*innen, durch Akteur*innen der Kunstvermittlung, auszuweiten. Durch das Zeigen innerhalb des Museums reihen sie sich in das Repräsentationssystem Ausstellung ein, die es ihnen ermöglicht, legitime Bedeutungen über die pädagogische Arbeit zu formulieren. Sie tragen damit aktiv dazu bei, zu definieren, was innerhalb der jeweiligen Institution auf welche Weise als Kunstvermittlung wahrgenommen wird und nehmen im Sinne der Repräsentationskritik nach Stuart Hall6 Einfluss auf die Herstellung von Bedeutung über das Feld. Ebenso wie die Gespräche mit dem Ausstellungspublikum führen die Ausstellungen der Kunstvermittlung zu einem größeren Verständnis der Kunstvermittlung bei den Besucher*innen des Museums.
„Die Ergebnisse in den Ausstellungsraum im Museum zu bringen, empfinde ich immer als spektakulären Moment. Wichtig ist aber die bewusste Entscheidung der Teilnehmenden, wann etwas fertig ist und sie es zeigen wollen.“ (Karen Winzer, bildende Künstlerin und freie Mitarbeitern lab.Bode)
Gleichzeitig werden die Akteur*innen der Kunstvermittlung sowie ihre Handlungen durch die architektonische Rahmung der Räume sowie die Teilwerdung der Ausstellung selbst zum angeschauten Objekt. Der physisch-materielle Raum fasst die pädagogische Arbeit inklusive ihrer Akteur*innen ein und die Besucher*innen werden durch die Platzierung des Raumes auf der Ausstellungsfläche aufgefordert, die pädagogische Arbeit zu betrachten. Kunstvermittlung und ihre Akteur*innen werden zur Schau gestellt. Der sichtbare Vermittlungsraum suggeriert dabei als Teil des Ausstellungsdisplays ein Angeschaut-werden-Wollen, das die Anrufung des Hinsehens vermittelt und darüber die existierende Geschlechtlichkeit des feminisierten Feldes der Kunstvermittlung verfestigt.
Erhalt von Anerkennung und Reproduktion der Werteverhältnisse
Insgesamt führt die Nähe zur gezeigten Kunst und die Verortung im „Zentrum“ der Institution dazu, dass Kunstvermittlung über die im Feld anerkannten symbolischen Ordnungen Anerkennung7 erhält. Dies führt dazu, dass die Position der pädagogischen Arbeit im Museum gesteigert wird. Die Platzierung von Vermittlungsräumen im Keller oder im Dachgeschoss gegenüber der Platzierung ins „Zentrum der Institution“ ist folglich ein Ausdruck sich verändernder Machtverhältnisse innerhalb des Museums8. Wesentlich für diese Argumentation ist, dass mit dem Zentrum der Institution sowohl die rein physisch-materielle Mitte des Gebäudes als auch der Ausstellungsraum als Zentrum kultureller Werte anzusehen ist. Die Übergabe ehemaliger Ausstellungsflächen an die Kunstvermittler*innen bedeutet, dass sie innerhalb der symbolischen Ordnung des Museums aufsteigen, da ihnen das symbolische Kapital der Ausstellungsfläche übertragen wird.
Dieses symbolische Kapital können die Vermittler*innen innerhalb des Vermittlungsraumes als Benennungsmacht nutzen. Benennungsmacht wirkt als symbolische Macht auf der Ebene der Bedeutungszuschreibung, ihre Macht besteht darin, Bedeutungen herzustellen. Es ist die „Macht, der es gelingt, Bedeutungen […] als legitim durchzusetzen“ (Bourdieu/Passeron 1973: 190). Kunstvermittler*innen können mit ihrer Vermittlungspraxis im sichtbaren Vermittlungsraum und über das, was sie im Raum zeigen, legitime Bedeutungen über Kunstvermittlung herstellen.
Gleichzeitig ist festzustellen, dass der Kampf um Anerkennung respektive Kampf um die Beibehaltung oder den Aufstieg von bestimmten Positionen im Feld zur Reproduktion der Werteverhältnisse beitragen, indem der Glaube „an den Wert dessen, was in diesem Feld auf dem Spiel steht, je nach Feld mehr oder weniger vollständig“ reproduziert wird (Bourdieu [1980] 1993: 109). Bei der Platzierungsverschiebung auf die Ausstellungsfläche ist es der Glaube daran, dass Ausstellungsräume das Zentrum (das „Herz“) der Institution Museum darstellen und eines der zentralsten symbolischen Werte bedeuten. Im Zentrum der Institution verortet zu sein und darüber Anerkennung zu generieren, basiert auf der Anerkennung beziehungsweise der Verkennung der symbolischen Ordnungen des Museums. Es als erstrebenswert anzusehen, auf der Ausstellungsfläche platziert zu sein, bedeutet unmittelbar, die Ordnungen des Feldes zu bestätigen. Der Erhalt von Anerkennung über die Verortung auf der Ausstellungsfläche führt zur Reproduktion vorhandener Werte- und Machtverhältnisse innerhalb der Institution Museum.
Sichtbare Räume der Kunstvermittlung als widerständige Praxis?
Bei der Betrachtung und Analyse sichtbarer Vermittlungsräume stellt sich aus der Perspektive kritischer Kunstvermittlung die Fragen, inwieweit es sich bei der verändernden räumlichen Praxis um eine widerständige Praxis handelt. Widerstand wird nach María do Mar Castro Varela „als ein Ensemble von Praxen verstanden, die Machtverhältnisse in Bewegung bringen“ (Castro Varela 2007: 68) und wird immer dann transparent, wenn die geäußerte Kritik am Hier und Jetzt Formen annimmt, „die es vermögen einen neuen Blick auf dasselbe zu werfen“ (ebd.). Castro Varela bezieht sich mit ihren Ausführungen auf Foucault, für welchen Widerstand die andere Seite der Machtbeziehungen darstellt. Er beschreibt Widerstand als eine Praxis der Kritik, die er „als Kunst nicht derart regiert zu werden“ (Foucault 1992: 12) benennt. Es handelt sich bei Foucault folglich um die Kreation von etwas, was nicht auf diese Art und Weise intendiert war.
Wird das hier genannte Verständnis von Widerstand auf die sichtbaren Vermittlungsräume und die ihr zugehörigen Handlungen übertragen, ergibt sich folgende Frage:
Stellen die hier beschriebenen Praxen sichtbarer Vermittlungsräume Abweichungen zu den vorgeprägten institutionalisierten räumlichen Praxen dar,
– die etwas entstehen lassen, was auf diese Art und Weise nicht intendiert war,
– die hegemoniale Strukturen in Bewegung versetzten,
– oder die es vermögen, einen neuen Blick auf dasselbe zu werfen?
Eine sich so realisierende widerständige Raumpraxis möchte ich „abweichende Raumpraxis“ nennen.
In den Praxen sichtbarer Vermittlungsräume ist in Teilen eine abweichende Raumpraxis auszumachen. Zum einen steht der Einrichtung sichtbarer Vermittlungsräume die intendierte Funktion des Präsentierens von Kunst an einem spezifischen Ort im Museum nicht mehr zur Verfügung. Die Vermittlungsräume nehmen den Platz ein, der für das Zeigen von Kunst vorgesehen war. Das Ausstellen von Kunst wird an den dafür vorgesehenen Quadratmetern abgelöst durch Einrichtungsgegenstände und Materialien, die für Vermittlungsprogramme genutzt werden, sowie durch Ausstellungen der Kunstvermittlungsabteilungen, bei denen Produkte und Dokumentationen der pädagogischen Arbeit dem Publikum zu sehen gegeben werden. Das intendierte Zeigen von Kunst wird ersetzt durch das Zeigen von Kunstvermittlung.
Zum anderen geht mit der Generierung von Anerkennung eine erhöhte Stellung der Kunstvermittlung im sozialen Raum einher, welche eine Stärkung der eigenen Machtposition im Feld bedeutet. Die Position der Kunstvermittlung verändert sich und hegemoniale Strukturen geraten ins Wanken.
Um weitere Möglichkeiten abweichender Praxen im Umgang mit sichtbaren Vermittlungsräumen zu denken, möchte ich zum Abschluss drei Vorschläge machen, die sich an die hier beschriebene widerständige Praxis anlehnen.
Der erste Vorschlag lautet, in der Vermittlungsarbeit die existierenden Blickregime im Museum aufzudecken und sich mit den Blicken und Begehren der Besucher*innen auseinander zu setzen. Dies knüpft direkt an die Folge des sichtbaren Vermittlungsraumes an, welche die Vermittlungspraxis und ihre dazugehörigen Akteur*innen zum angeschauten Objekt macht. Dabei kann in Anlehnung an bestehende künstlerische und kunstvermittlerische Praxen widerständige Repräsentationsarbeit erfolgen, die sich dem Wunsch nach einem Beweis der Bildungsarbeit sowie ihrer diversen Teilnehmer*innenschaft entzieht9.
Zum zweiten können Räume der Halbsichtbarkeit oder Unsichtbarkeit gemeinsam mit den Teilnehmer*innen der Vermittlungspraxis aufgesucht beziehungsweise geschaffen werden. Dieser Vorschlag basiert darauf, Allianzen mit den Menschen einzugehen, die ihr Recht, unsichtbar bleiben zu wollen, einfordern und sich der existierenden Sichtbarmachung im Museum entziehen wollen. Mit dem „Recht auf Opazität“ (Glissant 1999: 24), das von dem postkolonialen karibischen Philosophen Édouard Glissant eingefordert wird, wird nicht nur der Intention Kunstvermittlung zu bezeugen entgegengewirkt. Durch das Aufsuchen von Räumen in der Halb- und Unsichtbarkeit wird in der Kunstvermittlung eine Strategie genutzt, bei der Sichtbarkeitsmechanismen zum Gegenstand der Kunstvermittlung gemacht werden und darüber das Recht in Anspruch genommen wird, sich nicht kategorisieren zu lassen10.
Mein dritter Vorschlag lautet, die sichtbaren Räume zur Verfügung zu stellen und Gegenöffentlichkeiten zu organisieren, für Akteur*innen, die von der Sichtbarkeit im Museum profitieren, diese aber nicht auf reguläre Weise – durch die Einladungspolitiken der Institution – erhalten. Die Sichtbarkeit der Räume könnte so für eine Sichtbarmachung von und Solidarisierung mit ihren jeweiligen Anliegen genutzt werden.
Literaturverzeichnis
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