Kulturstiftung des Bundes Staatliche Museen zu Berlin – Preußisher Kulturbesitz

Themen für Ausstellungen, die Wahl der Objekte und ihre Zusammenstellung, Texte, Führungen und andere Vermittlungsformate werden in vielen Museen alleinig von den professionellen Mitarbeitenden ausgewählt, produziert, öffentlich kommuniziert und reflektiert. Das Wissen dieser autorisierten Sprecher*innen umfasst jedoch nur einen Ausschnitt der möglichen Perspektiven auf die Artefakte.

Welches Wissen haben Museumsbesucher*innen und Nicht-Besucher*innen in Bezug auf die Objekte? Wie können andere Stimmen und alternatives Wissen involviert werden und damit eine Mehrstimmigkeit im Museum sicht- und erfahrbar werden? Mit dem Aufkommen einer gesellschaftspolitisch engagierten Museumspraxis stellen sich diese Fragen seit den 1970er-Jahren immer mehr Museen und erproben partizipative Strategien.

Die Kurator*innen Noura Dirani und Daniela Bystron reflektieren in einem Gespräch ihre Motivation für die Involvierung unterschiedlicher Gruppen in die Museumsarbeit. Eine Auswahl an Videos und Audiomitschnitten von SET-Veranstaltungen des lab.Bode gibt Einblick in die Praxis unterschiedlicher Museen mit Blick auf den Einbezug der Stadtgesellschaft.

Darüber hinaus zeigen und reflektieren wir einige Schulprojekte von lab.Bode, die es zum Ziel hatten, die Stimmen und das Wissen einer jungen Besucher*innengruppe sicht- und erfahrbar zu machen.

Warum sollten unterschiedliche Stimmen und Perspektiven im Museum gehört und repräsentiert werden?
Daniela Bystron, Noura Dirani, Greta Hoheisel
„Nicht reden, nicht senden, zuhören!“

Daniela Bystron, Kuratorin für Outreach am Brücke-Museum, Berlin, und Noura Dirani, Referentin für transkulturelle Methodik an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, legen in ihrer Arbeit einen Schwerpunkt auf Multiperspektivität. Sie möchten das Museum als einen Ort des Dialogs gestalten, der sich für ein diverses Publikum öffnet und dieses repräsentiert. Welche Motivationen und Haltungen dahinterstecken, beschreiben sie in einem gemeinsamen Gespräch. Das Brücke-Museum und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sind Partnermuseen von lab.Bode.

„Mehrstimmigkeit herstellen“ – zu diesem Themenfeld werden hier Audiomitschnitte und Videos verschiedener SET-Veranstaltungen in chronologischer Reihenfolge gezeigt: Çiçek Bacık, Daniela Bystron, Jenny Dirksen und Noura Dirani legten in ihren Beiträgen beispielhaft dar, wie die Involvierung der Stadtgesellschaft im Museum möglich sein kann.
Wie kann Mehrstimmigkeit in Projekten der Bildung und Vermittlung im Museum sicht- und erfahrbar werden?
Was erzählt das Museum von seinen Objekten und wie könnten alternative, fiktive Erzählungen aussehen? Gemeinsam mit Schriftsteller*innen erprobten Schüler*innen des Herder-Gymnasiums das Schreiben über Objekte beziehungsweise vom Objekt aus. Entstanden ist eine Textsammlung, die als Saalzettel zum Mitnehmen in den Ausstellungsräumen des Bode-Museums platziert wurde und neue Perspektiven auf die Objekte ermöglicht.
Ob thematisch, chronologisch oder nach Herkunft – jedes Museum hat eine Ordnung. Welche Ordnungen sind das im Bode-Museum und wieso ist das so? Dieser Frage gingen Schüler*innen der Grunewald-Grundschule nach und entwickelten anschließend eigene, alternative Ordnungssysteme und Kategorien. Es entstanden Foto-Collagen, Videos und musikalische Kompositionen zu ihren Begriffen, die alphabetisch geordnet als Archiv auf einer wachsenden, öffentlich zugänglichen Webseite versammelt sind. Hier werden neue Blicke einer jungen Besucher*innengruppe auf das Museum eröffnet, die nicht selten dazu einladen, auch das bisher kaum Betrachtete in den Fokus zu nehmen.
Neben dem „Bode-ABC“ und „Dichter dran!“ gibt es weitere Projekte, in denen Mehrstimmigkeit eine zentrale Rolle spielt. So hat lab.Bode gemeinsam mit Schüler*innen, Lehrer*innen, Museumsmitarbeiter*innen und Expert*innen aus dem Bereich Bildung und Vermittlung einen Themenkatalog zusammengestellt, der bei der Projektentwicklung Anstöße und Ideen gibt. Der Themenfächer findet sich unter dem Themenfeld Gesellschaftlich relevant sein. Und auch das Youth Lab Berlin, ein Jugendbeirat der im Rahmen von lab.Bode gegründet wurde, soll jungen Stimmen im Museum eine Sichtbarkeit und Handlungsspielraum geben. Mehr unter Von Jugendlichen lernen.
Auf der Suche nach neuen Perspektiven auf das Bode-Museum hat lab.Bode das Format der Mini-Residency eingeführt. Externe Personen wurden eingeladen, die Sammlungen und das Museum aus der spezifischen Perspektiven zu befragen. Sie verbrachten fünf bis sieben Tage im Museum, führten Gespräche mit zahlreichen Mitarbeiter*innen, blickten hinter die Kulissen, in Depots und Büros. Ziel war es, einen Dialograum zu öffnen, in dem neue Fragestellungen, Themen und Impulse für die Vermittlungsarbeit von außen gesetzt werden konnten. Zum Abschluss hinterließen sie in Form von Texten oder konkreten Projektideen diese Impulse. Zahlreiche dieser Beiträge sind unter verschiedenen Themen in den Pool eingeflossen. Hier versammeln wir als Überblick Interviews, die im Rahmen der Mini-Residency geführt wurden.

Das Projekt „Dichter dran!“

Was erzählt das Museum von seinen Objekten und wie könnten alternative, fiktive Erzählungen aussehen? Gemeinsam mit Schriftsteller*innen erprobten Schüler*innen des Herder-Gymnasiums das Schreiben über Objekte beziehungsweise vom Objekt aus. Entstanden ist eine Textsammlung, die als Saalzettel zum Mitnehmen in den Ausstellungsräumen des Bode-Museums platziert wurde und neue Perspektiven auf die Objekte ermöglicht.

Projektdokumentation
Dichter dran!

Was und wie erzählt das Museum von seinen Objekten? Wie könnten andere, alternative Erzählungen aussehen? Was geschieht, wenn auch Fiktion Einzug in die Texte erhält? Gemeinsam mit Schriftsteller*innen erprobten Schüler*innen der Klasse 9d des Herder-Gymnasiums das Schreiben über Objekte beziehungsweise vom Objekt ausgehend. Sie experimentierten mit Formen des Erzählens, schrieben Erinnerungen auf, verfassten Gedichte und kurze fiktionale Texte. Entstanden ist eine Textsammlung, die als Saalzettel zum Mitnehmen temporär in den Ausstellungsräumen des Bode-Museums platziert wurde und nun in der lab.Bode-Bibliothek im „Denkraum“ zum Lesen ausliegt.

 

Objektbezug

Für die Schreibübungen wurden teilweise Objekte als Ausgangspunkt vorgegeben (Beispiel: Relief mit Befreiung einer belagerten Stadt, frühes 5. Jahrhundert). Für einige Schreibanlässe wurden Räume vordefiniert innerhalb derer die Schüler*innen dann Kunstwerke selbstbestimmt wählen konnten. Häufig wurde die Wahl des Werkes den Schüler*innen überlassen. Für diese Wahl gab es methodische Impulse.

Formen der Zusammenarbeit

Der Impuls für die Zusammenarbeit im Fach Deutsch kam von der Lehrerin. Das Deutschbuch von Cornelsen für die Klasse 9 gibt „kreatives Schreiben zu Kunstwerken“ vor. Zu Abbildungen von unterschiedlichen Plastiken und Gemälden sollen dabei Kurzgeschichten, Minidramen und Gedichte entstehen. Die Lehrerin hielt es für sinnvoll, anlässlich der Kooperation die Chance zu nutzen, vor und von Originalen ausgehend zu schreiben.

Unterrichtsbezug / Bezug zu kompetenzbezogenem Lernen

Das Projekt knüpfte direkt an das Fach Deutsch, insbesondere an den Bereich des kreativen Schreibens an. Ausgehend von einzelnen Objekten im Museum konnten unterschiedliche Textgattungen (zum Beispiel Lyrik, Dramatik und Epik) erprobt werden.

Methodische Herangehensweise

In dem Projekt wurde besonders mit Methoden des kreativen Schreibens gearbeitet. Die Objekte dienten dabei als Impulsgeber und unterschiedliche Textformen wurden anlässlich der Objekte eingeführt und erprobt (zum Beispiel Lyrik, Dramatik und Epik). Die Schüler*innen nahmen eigene Erinnerungen als Anlass zum Schreiben von Texten, aber auch aktuelle politisch oder gesellschaftliche Geschehnisse wurden mit den historischen Objekten in Beziehung gesetzt, indem beispielsweise Tageszeitungen als Inspiration zur textlichen Arbeit an einem Objekt genutzt wurden. Die entstandenen Texte wurden als Interventionen im Ausstellungsraum platziert und eröffneten damit allen Besucher*innen eine neue Perspektive zu den Sammlungsobjekten des Bode-Museums.

Projektphasen

Termin: 3.5.2017 | Dauer: 5 Std. | Ort: Museum
Museum kennenlernen, Erinnerungstexte

Termin: 4.5.2017 | Dauer: 3,5 Std. | Ort: Museum
Spekulatives Schreiben zu Objekten und Figuren

Termin: 8.5.2017 | Dauer: 1,5 Std. | Ort: Schule
Beratung und Weiterschreiben

Termin: 10.5.2017 | Dauer: 1,5h | Ort: Schule
Redaktionelle Bearbeitung, Fertigstellung der Texte

Termin: 11.5.2017 | Dauer: 3 Std. | Ort: Museum
WhatsApp-Chat zu Objekt, Präsentation von Textskizzen

Termin: | Dauer: | Ort: Team lab.Bode und freie Mitarbeiter*innen sowie Grafiker*innen
Redaktion und Betreuung grafische Gestaltung sowie Druck (dies wäre bei einem länger angelegten Projekt auch mit den Schüler*innen möglich)

Sichtbarkeit/Künstlerische & praktische Arbeiten

Zunächst wurden die Texte als temporäre Intervention neben den ausgewählten Objekten platziert und lagen im Vermittlungsraum „Denkraum“ von lab.Bode aus. In Form von Abreißblöcken konnten Besucher*innen diese mitnehmen. Seitens der Museumsleitung wurde beschlossen, einige der Texte dauerhaft neben den von Kurator*innen verfassten Texten den Besucher*innen zur Verfügung zu stellen. Sie sind in den bereits vorhandenen Steckkästen im Ausstellungsraum präsent.

Räume der Vermittlung / Projektsettings

Dem Projekt stand ein Raum zum Rückzug für konzentriertes Schreiben zur Verfügung. Außerdem entstanden temporäre Schreibstationen in der Ausstellung vor den Objekten. Diese wurden mit Kissen, Stühlen, Teppichen oder ähnlichem räumlich markiert und ermöglichten eine bequeme Schreibsituation.

Ressourcen: Technik und Verbrauchsmaterialien

Technik:

4 Audio-Aufnahmegeräte, Fotokameras, Selphy-Drucker, Overhead-Projektor mit leeren Folien und Folienstiften, Drucker, Computer mit Internetzugang für Recherche 

Verbrauchsmaterial:

Großes Papier oder Papierrolle, Kreppband, Edding, farbige Klebeetiketten in drei Farben, Raumpläne, Klemmbretter, weißes DinA4-Papier, blanko, kariert und liniert, rote gelbe und blaue Stifte, schwarzes DinA3-Papier, Neonstifte, Tageszeitungen, Heftstreifen, Locher, Ordner, Tische und Stühle für die Schreibinseln in der Ausstellung, mobile Hocker

Ressourcen: Honorare

3 freie Mitarbeiter*innen (Autor*innen und Vermittler*innen), jeweils 15 Stunden Vorbereitung, 15 Stunden Durchführung, 5 Stunden Dokumentation und 7 Stunden redaktionelle Bearbeitung der Texte für Druck und Lektorat, 1 Grafikbüro zur Gestaltung der Saalzettel

Projektkoordination (Wissenschaftliche Mitarbeiter*in lab.Bode:
Greta Hoheisel
Workshopleiter*innen (Freie Mitarbeiter*in):
Lisa Vera Schwabe, Jan Skudlarek, Nora Wicke
Projektzeitraum:
Mai 2017
Termine & Dauer:
5 Einzeltermine Tag 1: 5 Std. Tag 2: 3,5 Std. Tag 3: 1,5 Std. Tag 4: 1,5 Std. Tag 5: 3 Std.
Schule:
Herder-Gymnasium
Klasse/Lehrkraft:
9. Klasse / Julia Nowak
Gruppengröße:
26
Oberthema/Unterthema:
Museum im Wandel / Wer spricht im Museum? – Eine Beziehung zu Kunstwerken aufbauen; Zugang: Interdisziplinarität; Unterthema: Selber schreiben zu Kunstwerken
Autor*innen der Dokumentation:
Lisa Vera Schwabe, Jan Skudlarek, Nora Wicke, Greta Hoheisel
Greta Hoheisel

Projektreflexion zu „Dichter dran!“

Die Ausgangslage – das Werk ohne Text

Als das Team von lab.Bode 2016 seine Arbeit aufnahm, gab es im Bode-Museum kaum Saal- und Objekttexte. Besonders in der Skulpturensammlung waren die Labels nur mit den Minimalinformationen – Künstler*in, Titel, Entstehung, Material, Ort – versehen. Selten gab es weiterführende Hinweise, eine Kontextualisierung oder Impulse zur Betrachtung direkt am Werk. Sehr wenige ausgewählte Werke wurden in langen Texten beschrieben, die den Besucher*innen auf laminierten Zetteln in Boxen zur Verfügung standen. Zudem dominierte hier die fachwissenschaftliche Analyse. Autor*innen dieser Texte waren Kurator*innen beziehungsweise Wissenschaftler*innen des Bode-Museums und damit die durch das Museum autorisierten Sprecher*innen. Ergänzt wurden die wenigen textlichen Angebote durch punktuell ausgelegte Exemplare des Kurzführers, ein kleines Buch in dem ausgewählte Kunstwerke in Kurztexten besprochen werden.

Für Menschen, die nicht über das notwendige Kontextwissen oder Erfahrungen der Kunstbetrachtung verfügen, können das Museum und seine Objekte so zu einem unzugänglichen, kaum zu dechiffrierenden Ort werden. Aus meiner Perspektive als Vermittlerin eine schwer zu verstehende Setzung und zugleich eine Leerstelle, die Anlass gab, darüber nachzudenken, wie die Frage nach Objekttexten im Rahmen von lab.Bode bearbeitet werden könnte. Der Wunsch der Deutschlehrerin Julia Nowak des Herder-Gymnasiums, mit ihrer Klasse im Museum zu arbeiten und die Originale als Schreibanlass zu verstehen, fiel zeitlich in das Nachdenken über die „fehlenden“ Texte im Museum. Wir vereinbarten eine Projektwoche und luden die Schriftsteller*innen Lisa Vera Schwabe, Jan Skudlarek und Nora Wicke als Workshopleiter*innen ein. Sie sind Kurzprosa-, Romanautor*innen und Lyriker*innen. Dass sie selbst keine ausgebildeten Kunsthistoriker*innen sind, war eine bewusste Entscheidung. Auch für sie waren die Werke, die dahinterliegenden Geschichten unbekannt. Sie wollten den Objekten gemeinsam mit den Jugendlichen schreibend begegnen.

Der Prozess – Schreiben im Workshop

Als Schreibanlässe dienten die Ausstellungsobjekte des Museums. Die Übungen veranlassten die Schüler*innen zu fiktiven Texten oder Erzählungen, die ihren Ausgangspunkt unter anderem in eigenen Erinnerungen nahmen. Die Methode „… erinnert mich an …“ forderte die Schüler*innen auf, einen Satz zu einer Skulptur zu formulieren, die sie spontan an etwas erinnerte. Ausgewählt wurden die Skulpturen bei dieser, wie bei den meisten anderen Übungen, individuell und selbstbestimmt. Oft stellten die Schüler*innen dabei Bezüge zur eigenen Familiengeschichte her: „Die Schmalaxt erinnert mich an meinen Urlaub bei meiner Oma in Kroatien, wo ich Holz für den Ofen gespalten habe.“ Andere Texte spannten Verbindungen zu kulturellen Artefakten ihrer Lebenswelt: „Die Villa des Maecenas erinnert mich an Harry Potter“ oder „Der Mannheimer Hochaltar erinnert mich an den Eisernen Thron aus G.O.T. (Game of Thrones)“. Diese subjektiven Bezüge, die das Erfahrungswissen der Schüler*innen in den Mittelpunkt stellten, wurden zum Ausgangspunkt für kleine Texte, in denen die Teilnehmenden die Freiheit hatten, auch Fiktion zu integrieren. Die Erinnerungssätze und -texte boten im Prozess des Projektes vielfältige Gesprächsanlässe: Die Schüler*innen trugen sich gegenseitig ihre Texte in der Ausstellung neben dem Objekt vor und lenkten den Blick ihrer Mitschüler*innen nicht selten auf spezifische Details der Skulptur, die zuvor von ihnen unter Umständen gar nicht wahrgenommen worden waren. Zugleich aktivierte der subjektive Bezug häufig einen Zugang zum Werk, der die Schüler*innen dazu ermunterte, weiter zu recherchieren und das Objekt zu befragen.

Alternative Texte

Eine Auswahl dieser und anderer Texte wurde im Projektnachgang gedruckt und auf Abreißblöcken zunächst in den öffentlich zugänglichen Vermittlungsräumen platziert. Besucher*innen, die auf diese aufmerksam wurden, konnten die Zettel als eine Art „Ausstellungsbegleiter*in“ mit in die Sammlungsräume nehmen. Die anfängliche Platzierung der Texte in den Vermittlungsräumen markierte klar ihre Herkunft: ein Projekt der Bildung und Vermittlung. Der Platz für die Stimmen der Jugendlichen lag also außerhalb des Sammlungsrundgangs, in dem weiterhin – wenn überhaupt – fachwissenschaftliche Texte der Museumsmitarbeiter*innen vorherrschend waren. Nach mehreren Monaten kam seitens der Kuratorin für Outreach, die auch mit der Entwicklung von Textkonzepten für die Dauerausstellung betraut war, der Vorschlag, die Saalzettel auch im Rundgang, neben die Texte der Kurator*innen zu platzieren, sofern es in dem jeweiligen Raum einen Ständer dafür gab. Auf diese Weise gelangten einige der Saalzettel in den Rundgang, neben die Texte der Kurator*innen.

Für Einzelbesucher*innen bieten die Texte der Schüler*innen einen alternativen Zugang zu den Werken. Sie öffnen nicht nur einen spezifischen Blick auf das Werk, sondern sie regen eigene, subjektive Zugänge zu den historischen Objekten an. Sie geben beispielsweise den Impuls, sich nach eigenen Erinnerungen zu fragen. Andere fiktive Texte lenken den Blick der Leser*innen auf spezifische Details der Skulptur oder auf den Akt der Betrachtung selbst und geben so vielfältige Anstöße zur Werkbetrachtung. „Ich sitze hier im Rahmen eines Schulprojekts, keiner neben mir, keiner hinter mir, aber etwas vor mir. Eine Retabel. Ich habe keine Ahnung was dies ist. Ich sehe nur eine abgewandelte Art von einem Triptychon. Man kann es nicht zusammenklappen, aber ansonsten sieht es genauso aus. Es ist wie so eine Art 3D-Holzbild. Wahrscheinlich würdigt es einen sehr ehrenvollen Menschen oder eine sehr ehrenvolle Tat, die er verrichtet hat, aber ich erkenne keinen Sinn dahinter. Was sehe ich?“

Die Subjektivität steht im vermeintlichen Gegensatz zum Anspruch der scheinbaren wissenschaftlichen Objektivität, die den Texten der Kurator*innen innewohnt. Doch die Texte der Kurator*innen sind keine „neutralen“ Texte. Auch sie sind situiert und aus einer spezifischen, individuellen Perspektive formuliert, die in einen zeitlichen Kontext und eine gesellschaftliche Positionierung im Verhältnis zu anderen Akteur*innen eingebunden ist. Das Museum, aber auch die darin zu lesenden Texte, sind immer in historisch gewachsene und politische Verhältnisse gebettet, die jedoch nur selten markiert werden.

Aber an dieser Stelle nur von Subjektivität in Abgrenzung zu einer vom Museum gesetzten Objektivität zu sprechen, würde dem Vorhaben, andere Stimmen durch Texte im Museum eine Präsenz zu geben, nicht gerecht werden. Schließlich transportieren sich in ihnen Anschlüsse zur Gegenwart, die weit über Subjektivität im Sinne einer individuellen Erinnerung oder Leserichtung hinausgehen. Dass der Hochalter ein*n Schüler*in an den Thron aus Game of Thrones erinnert, erzählt zum einen etwas über die kulturellen Artefakte und Bilder, die im Bildgedächtnis vieler Jugendlichen gespeichert sind, zugleich ermöglicht der Bezug einen neuen Blick auf den Hochaltar. Dass die Texte der Schüler*innen als Impuls und Ermächtigung für andere Betrachter*innen wirken, über Werke auch ohne explizite kunstwissenschaftliche Expertise nachzudenken und zu sprechen, hat auch eine politische Dimension: markiert wird die Möglichkeit zur Teilhabe am Sprechen und Schreiben über Kunst.

Aus der Erfahrung mit diesem Projekt möchte ich für Heterogenität bei der Objektbeschriftung plädieren. Das kann, wie bei Der zweite Blick, einem Ausstellungsprojekt der Kuratorin für Outreach María López-Fanjul, thematisch geschehen. Das Projekt zeigt die Sammlung des Bode-Museums mit Blick auf neue und ungewohnte Themen, die für gewöhnlich im kanonischen, kunsthistorischen Diskurs wenig Raum finden, beispielsweise der Blick auf Geschlechteridentitäten, Sexualitäten und Liebe. Aber auch hier sind die Autor*innen der Texte Kurator*innen. Texte im Museum sollten neben thematischer Ausweitung aus meiner Perspektive aber auch diverse Sprecher*innen zu Wort kommen lassen. Heterogenität würde die Positioniertheit aller Texte und ihrer Sprecher*innen sowie Schreiber*innen markieren – die der „Schüler*innen“, anderer „Schreiber*innen“ und auch der „Kurator*innen“. Mit „Dichter dran!“ hat lab.Bode einen ersten, kleinen Versuch gewagt, der weiter erprobt und erweitert werden sollte.

Dichter dran – Alternative Saalzettel von Schüler*innen

Was und wie erzählt das Museum von seinen Objekten und wie könnten alternative, fiktive Erzählungen aussehen? Gemeinsam mit Schriftsteller*innen erprobten Schüler*innen der Klasse 9d des Herder-Gymnasiums das Schreiben über Objekte beziehungsweise vom Objekt aus. Entstanden ist eine Textsammlung, die als Saalzettel zum Mitnehmen temporär in den Ausstellungsräumen des Bode-Museums platziert wurde.

Methoden